Adrenalisierung der Kommunikation
Es war ein Frühsommertag, als ich mit 5 Jahren das Radfahren erlernte. Ein Tag, wie er heute sein könnte, blauer Himmel, warm und alles war satt grün. Ich übte mit meinem Kinderrad und auf einmal klappte es, Meter für Meter zu fahren. Ich war so stolz, dass ich es meiner Mutter zeigen wollte und die 50 Meter zum kleinen Lebensmittelmarkt fuhr, allerdings ohne auf die Straße zu achten, mit etwas Glück konnte der Autofahrer ausweichen.
Ich hatte Radfahren gelernt und eine erste Regel, beim Fahren zu überleben durch Achtsamkeit.
So gibt es auch in der Kommunikation Regeln, welche uns miteinander ins Gespräch kommen lassen. Eine der Wichtigsten ist zuhören, oder in der verschriftlichen Kommunikation, lesen.
Es ist wie beim Radfahren, es reicht nicht alleine aus die Grundtechnik zu beherrschen. Im Straßenverkehr gibt es glücklicherweise Regeln, welche wir einüben dürfen, um nicht uns und andere Menschen zu gefährden.
In der Kommunikation miteinander gibt es viele Fallstricke, es gibt die Worte, die wir benutzen, die Gestik und Mimik, die Lautstärke, die Art der Verarbeitung, der Reflexion des Gesagten.
Jeder Mensch hat eine eigene Sozialisation, eigene Traumata, eigene Glücksmomente. Alles abgespeichert in einem, seinem körpereigenen Speichersystem. Ebenso hat jeder Mensch unterschiedliche biologische Voraussetzungen, Darmbakterien, Hormone, Neurotransmitter etc. welche sein Handeln, seine Reaktionen, seine Gefühle seine Gedanken beeinflussen.
Ich zum Beispiel, hatte im Glücksmoment meines Radfahrerfolges so viele Glückshormone, dass ich für die Straße keinen Blick hatte.
Ein schönes Beispiel ist auch die sogenannte Rudelbildung beim Fußball, nicht alle Spieler beteiligen sich daran, andere Spieler werden womöglich sogar körperlich.
Bei der Rudelbildung und der verbalen Auseinandersetzung scheint eher das Hormon Adrenalin den Ton anzugeben, als ein geordneter achtsamer und konstruktiver Gedankenaustausch.
Es benötigt keinen Sport, um Adrenalin zu produzieren, Adrenalin ist ein Stresshormon, welches wir in bedrohlichen Lagen entwickeln können, zum Beispiel bei einem TV Thriller, aber auch im Gespräch miteinander, in dem Moment , wo wir ein bedrohliches Gefühl bekommen. Es benötigt keine tatsächliche Bedrohung, es reicht im Grunde eine vergangene Erinnerung eine gedankliche Bedrohung, ein Szenario unserer Phantasie.
Zum Glück für uns und unsere Mitmenschen baut sich Adrenalin recht schnell ab, unser Puls geht runter, der Blutdruck normalisiert sich.
So kann es auch sinnvoll sein, ein Gespräch, eine Kommunikation vorübergehend zu unterbrechen, zu verschieben.
Um auf mein Radbeispiel zurückzukommen, darf ich, bevor ich wieder losfahre mit meinem Rad, schauen ob die Bremse, die Klingel funktioniert, ob alle Schrauben gut angezogen sind , genug Luft auf der Bereifung ist und die Lichtanlage geht. Manchmal benötigt so ein Rad eine Reparatur.
In der Kommunikation, sind ein maßgeblicher Bestandteil die Wahl der Worte, ihre Zusammensetzung. Polemik, Ironie, Vorwürfe, Unterstellungen können jede Form der Kommunikation adrenalisieren.
Manchmal, zum Beispiel in der politischen Auseinandersetzung ist dieser Zustand der Adrenalisierung durchaus gewollt herbeigeführt. Ziel ist dann aber nicht eine sachliche Auseinandersetzung zu einem Thema, sondern eine „Rudelbildung“. Mit einer solchen erschafft man Polarisierungen. Leider bleibt dabei für Sachlichkeit und einen normalen Hormonhaushalt kein Platz. Adrenalin bestimmt das Geschehen. So ist es sinnvoll die kurzen Pausen zwischen den Adrenalinausschüttungen zu nutzen und in einen konstruktiven, sachlichen Diskurs zu treten und sich auszutauschen. Den Trick der Polarisierung offenzulegen, ihm seine Magie nehmen. In der Familie erlebe ich oft, insbesondere mit pubertierenden Teenagern, dass 10 Minuten manchmal als Pause reichen, in der Politik werden möglicherweise längere Pausen benötigt.
Im Fußball lassen sich Rudelbildungen meistens schnell auflösen, es gibt einen Schiedsrichter, welcher die Regeln beachtet und einfordert, nicht selten mit einer gelben oder roten Karte.
So kann eine Aufgabe an uns alle lauten, während eines Diskurses in Kontingenzen zu denken, zumindest in der Theorie mehrere Möglichkeiten nicht auszuschließen, sie als Meinung zuzulassen. Diese Denkweise würde es uns ermöglichen einander zuzuhören, in einen sachlichen Austausch unserer Gedanken zu treten, Eine weitere Aufgabe dürfte sein, unsere biochemischen Prozesse einmal genau zu beobachten und kennenzulernen, sie wahrzunehmen. Wir können lernen sie bewußter zu steuern.
Häufig sind es Stellvertreterthemen, welche uns auf die sprichwörtliche Palme bringen.
In einem Interview mit dem Spieler Frank Rijkaard, der Rudi Völler bei der Fußball WM 1990 mehrfach bespuckte, sagte dieser er hätte damals viel Wut gehabt über einen Konflikt innerhalb seiner Familie und diese Wut mit auf den Platz gebracht.
So kann eine Haltung, die wir einnehmen, Handlungen und Sprache die wir nutzen, mit ganz anderen Themen zu tun haben, als mit dem Thema über das wir uns aufregen, für das wir streiten. Ich laß einmal den Satz, glaube nicht alles was du denkst.
Ich bekam von meiner Mutter damals erst einmal einen Vortrag zu meinem Verhalten im Straßenverkehr und mein Glücksgefühl war durch den beinahe Zusammenstoß leider in Sekunden verflogen.
Was ich meiner Mutter hoch anrechne, sie blieb sachlich, trotz ihrer Ängste.
Einer der Gründe, warum man in der Konversation so selten verständige und angenehme Partner findet, ist, daß es kaum jemanden gibt, der nicht lieber an das dächte, was er sagen will, als genau auf das zu antworten, was man zu ihm sagt.
La Rochefoucauld
„Einer der Gründe, warum man in der Konversation so selten verständige und angenehme Partner findet, ist, daß es kaum jemanden gibt, der nicht lieber an das dächte, was er sagen will, als genau auf das zu antworten, was man zu ihm sagt.“ – ich glaube, dass ist der Hauptgrund.
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Ich kenne Leute, die können das tatsächlich. Ich selbst bin da wenig “ talentiert“, worunter ich wiederum leide.
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🙂
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So frustrierend, wenn du mitbekommst, dass ein Dialog doch nur ein Monolog ist.
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Ja, denke allerdings es betrifft jeden von uns, nicht immer, aber immer einmal wieder.
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Mich erschreckt, insbesondere online, die Polemik, die Ironie.
Sie ersetzt viel zu oft sachliche Argumente, gerade in Zeiten, wie diesen.
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Ich hatte mit meinem Sohn ein Gespräch über die Kurznachrichten bei Whtsapp, Threema u.ä. Er machte mir klar, wie schnell wir Dinge missverstehen können, weil wir das Gegenüber nicht sehen, nicht wirklich sprechen, weder Mimik wahrnehmen noch Stimmmodulationen. Stöße uns etwas im direkten Gespräch auf, würden wir wahrscheinlich sofort reagieren. Bei einer Nachricht, die wir vielleicht missverstehen, reagieren wir vielleicht nicht. Es ist ja auch mühsam, dieses Hin- und Herschreiben.
Was du ansprichst, sind wahrscheinlich solche Medien wie Twitter, Instagram u.s.w. Dort ist sachlicher Austausch kaum bis gar nicht möglich. Waren es anfangs noch anonyme Personen, so sind es mittlerweile viele User, die unter ihren Klarnamen wirklich böses Zeug bis zur Hetze in die Welt setzen.
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Mittlerweile erlebe ich auch in der analogen Kommunikation eine oft polemische, teils aggressive Weise.
Ich denke bei vielen Menschen ist viel Stress im Hintergrund, wodurch auch immer, hinzu kommt eine Übersteigerung des Ego.
So, jedenfalls wäre meine Kurzanalyse
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Ich laß heute einen schönen Satz: Glaube nicht alles, was du denkst😀
Finde ich sehr passend für jeden von uns
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In unsicheren Zeiten regrediert der Mensch leicht – dh er kehrt zu frühkindlichen Verhaltensweisen zurück, um seine Ängste zu beschwichtigen. Dau gehört auf der Verhaltsebene das berühmte Toilettenpapier: du fühlst dich, symbolisch gesprochen, gewappnet, fallst du dir vor Angst in die Hose machst.
Ein anderer Verteidigungsmechanismus bei Verunsicherung ist, auf das Wort von Mama und Papa (absolute Autoitäten) zu vertrauen – so wie du als kleiner Junge, der sich von Mutter in die Straßenverkehrsregeln einführen lässt, anstatt auf seine eigene Erkenntnis zu vertrauen. Dabei hattest du soeben am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wenn man nicht auf den Straßenverkehr achtet. Es hätte dir eine Lehre sein können – auch ohne Mutters Worte. Aber als kleiner Bub braucht man eben auch das Erwachsenenwort. Als Erwachsener aber sollte man auf die eigene Einsicht bauen. (Selbstverantwortung) In Stresssituationen wie heute aber gehen viele eben lieber in die Haltung des Kleinkindes, dem man sagt, wie es richtig ist. Jeder glaubt an die Unfehlbarkeit der eigenen Mutter, des eigenen Vaters, Und wehe, da kommt einer daher und sagt: dein Vater hat Unrecht! das verunsichert total und macht wütend. Auf solche Argumente hört man dann lieber nicht, sondern verteidigt eisern was die Autorität einem sagt.
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Da schreibst du Sachen die ich so nicht teile.
Ich habe zwei Teenager hier die alles andere, als autoritätshörig sind.
Ich habe selten auf meine Mutter gehört,
aber wenn sie sagte die Herdplatte ist heiß, vorsicht, hab ich nicht drauf gefasst.
Das hatte aber weniger mit Autorität zu tun.
Wenn ich dir sage da kommt ein Zug , bleib stehen, ist es ein gut gemeinter Hinweis, keine autoritäre Handlung.
Frage ist ja auch, wen wir uns als Autorität wählen.
In der Pubertät wenden sich viele Jugendliche von ihren Eltern ab, suchen nach neuen Bezugsgruppen.
Mir ging es in meinem Posting aber eher um die Kommunikation, die durch vielerlei Faktoren beeinflusst wird.
Ein Faktor könnte auch der Versuch sein, seine Autorität zu verteidigen, wen man sie bedroht wähnt.
So kann auch der Gedanke an absolute Freiheit zu einer persönlichen Autorität werden, der wir uneingeschränkt folgen möchten.
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Ich denke meine Mutter hat mir damals den Sachverhalt auch nicht noch einmal erklärt um ihrer Autorität Ausdruck zu verleihen sondern aus Liebe😉
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